Spielfiguren und Gruppen

Nach jeder Menge Tipps und Grundlagen für die Spielleitung ist es ja nur fair, dass es auch für die Spielenden etwas zu lesen gibt. Aber auch als Spielleitung sind diese Dinge gut zu wissen. Es geht darum, wie man Spielfiguren erstellt, die allen Beteiligten Spaß machen. Und darum, wie man aktiv spielt, damit nicht die ganze Arbeit nur bei der Spielleitung liegt.

Gute Spielfiguren sind einfach

Ich gehe im folgenden davon aus, dass das gemeinsame Spiel einen Fokus auf Abenteuer hat, also gemeinsam eine Aufgabe bewältigt wird. Demgegenüber stehen Spielrunden, die sehr auf Figurendrama ausgelegt sind und sich die Spielenden mehr miteinander als mit dem Rest der Spielwelt beschäftigen. Dort können Figuren natürlich auch komplexer sein.

Faustregel: Wenn du die Persönlichkeit deiner Spielfigur nicht in einem Satz erklären kannst, ist sie zu kompliziert. In Spielrunden, die auf Abenteuer ausgelegt sind, ist selten Zeit, wirklich alle Facetten einer Spielfigur zu ergründen. Meistens ist das auch für die Mitspielenden nicht wahnsinnig interessant. Das muss dich als Spielende:n nicht davon abhalten, dir mehr Gedanken zu machen, aber du solltest definitiv in der Lage sein, deine Spielfigur sehr plakativ zu beschreiben und dich auch konsequent an diese Beschreibung halten.

Beispiel: Comicfiguren. Ich ziehe ja immer gern Asterix heran als Beispiel für gutes Worldbuildung und Charakterisierung. Die Nebenfiguren wie Majestix, Troubadix, Automatix oder Gutemine sind extrem eindimensional und funktionieren genau deshalb so gut.

Eine weitere Ausführung ist nur dann wichtig, wenn die Spielrunde plant, längerfristig miteinander zu spielen. Für sogenannte One-Shots (ein Abenteuer, idealerweise in einer Spielsitzung) ist das nicht notwendig. Aber wenn es eben länger werden soll, ist es schon schön, wenn man ungefähr weiß, wen man da spielt. Bewährt hat sich eine Kombination aus drei Aspekten: Ziel, Methode und Macke.

Ziel

Das Ziel einer Spielfigur kann sehr abstrakt oder auch sehr konkret sein. Dies ist der Punkt, der idealerweise in einer Session Zero, also einer Spielsitzung, bei der das kommende gemeinsame Spiel besprochen wird, abgestimmt werden sollte. Und zwar sowohl mit der Spielleitung als auch mit den anderen Spielenden. Das Ziel ist der wichtigste Punkt für lange Kampagnen und der unwichtigste Punkt für kurze.

Das Ziel einer Spielfigur kann nämlich stark von der Spielwelt abhängen. Wenn Karl der Kämpfer als Ziel angibt „Kalif von Absurdistan“ zu werden, geht das nur, wenn es das Kalifat Absurdistan in der Spielwelt auch gibt. Darauf kann man sich aber durchaus in der Session Zero verständigen. Ziele, die die Spielwelt mitgestalten sind absolut in Ordnung! Es muss nur abgesprochen sein.

Das Ziel ist insbesondere für charakterspezifische Kampagnen wichtig. Dabei wird gemeinsam in der Session Zero die Welt skizziert. Die Spielleitung überlegt sich dann, welche Hindernisse jede Spielfigur beim Erreichen ihrer Ziele überwinden muss.

Ziele, die die Spielwelt gestalten

  • Ich will meine entführte Schwester finden
  • Ich will den Tod meines Mentors rächen
  • Ich will meine Heimat retten
  • Ich will mich in den Augen einer Institution beweisen
  • Ich will eine Prophezeiung erfüllen oder verhindern
  • Ich will ein Übel aufhalten, das nur ich kenne

Unspezifische Ziele

  • Ich will sehr reich werden
  • Ich will Macht
  • Ich will die Welt zu einem besseren Ort machen
  • Ich will Abenteuer erleben
  • Ich will beweisen, das ich stark bin
  • Ich will meine Schulden bezahlen

Unspezifische Ziele sind auch absolut okay. Aber man kann auch mal weiterdenken und nach dem „Warum“ fragen. „Ich will sehr reich werden, um mein versklavtes Volk von seinen Unterdrückern frei zu kaufen“ wäre sehr nobel. „Ich will sehr reich werden, weil meine Eltern behauptet haben, dass aus mir nie etwas wird“, ist genauso valide.

Methode

Die Methode einer Spielfigur ist das, was die Mitspielenden am häufigsten zu sehen bekommen. Sie sollte daher offensichtlich und konsequent sein. Die Methode beschriebt, wie der Charakter in der Regel versucht, Hindernisse zu bewältigen. Die drei offensichtlichsten Methoden in traditionellen Rollenspielen sind folgende:

  • Mit Heimlichkeit
  • Mit Gewalt
  • Mit Charme

Nur, weil man einen Kämpfer spielt, bedeutet das nicht, dass die bevorzugte Methode Gewalt sein muss. Ein extrem gewaltbereiter Barde kann dagegen sehr witzig sein. (Vor allem, weil vermutlich andere das ausbaden müssen).

Nochmal: Die Methode ist sehr wichtig! Sie ist das, was die Mitspielenden am häufigsten von der Spielfigur mitbekommen. Und das besprechen der richtigen Methode, um ein Hindernis zu bewältigen, ist das mit Abstand am häufigsten geführte Gespräch zwischen den Spielenden. Versuche hier, konsequent aber nicht stur zu sein. Die Waldläuferin, die mit niemandem reden will und der Paladin, der immer mit allen reden will, sind der Treibstoff für Rollenspiel. Wenn du nur einen der Punkte für die Erstellung eines Charakters berücksichtigst, dann bitte diesen!

Folglich wäre es natürlich schön, wenn nicht alle Spielfiguren in einer Gruppe die gleiche Methode bevorzugen. Das macht die Gruppe zwar effizienter, aber auch langweiliger.

Macke

Die Macke, der Quirk oder Twist einer Spielfigur macht sie besonders. Diese Besonderheit ist auch insofern mächtig, als dass sie den Ton des Spiels beeinflusst. Ich selbst spiele gerne mit sehr viel Humor und gebe meinen Spielcharakteren daher gerne auch eher witzige Macken mit. Auch dies sollte man mit den Mitspielenden aber mal absprechen. Denn wenn alle anderen Horror wollen, sollte man diese Stimmung nicht kaputt machen.

Im folgenden ein paar leicht zu spielende Macken, die großen Effekt haben:

  • Schwerhörigkeit mit kreativem Missverstehen
  • Vergesslichkeit
  • Prahlerische Arroganz
  • Extreme Geldgier
  • Übertriebener Wettbewerbsgedanke
  • Immense Selbstzweifel

Spiel in der Gruppe

Früher oder später stoßen alle Rollenspielenden auf folgende Frage: „Warum ist diese Gruppe von Spielfiguren eigentlich zusammen unterwegs?“

Manchmal ergibt sich ein guter Grund dafür aus den Abenteuern, manchmal nicht. Ich rate dazu, diese Frage einfach nicht zu stellen. Man hat sich eben verabredet, gemeinsam zu spielen und damit hat es sich. Rollenspiel ist für gewöhnlich eine Gruppenaktivität.

Und daraus ergeben sich zwei Dinge, die jede:r Spielende bei seiner Spielfigur erfüllen muss!

  1. Die Spielfigur muss Lust haben, Abenteuer zu erleben
  2. Die Spielfigur redet und arbeitet gerne mit anderen

Spielfiguren des Typs „Einsamer Wolf“ oder „Antisozial“ sind zurecht ein Meme im Internet. Mit solchen Spielfiguren torpedieren Spielende aktiv die Grundvoraussetzung für das gemeinsame Spiel.

Um also die Frage von oben zu beantworten: „Weil die anderen Spielfiguren gute Gesellschaft sind“. Die Figuren sind zusammen unterwegs, weil das sicherer und unterhaltsamer ist.

Aktiv spielen

Im Rollenspiel ruht oft die Hauptlast noch immer bei der Spielleitung. Obwohl Erzählspiele und auch neuere traditionelle Spiele den Spielenden deutlich mehr eigene Initiative einräumen, werden all diese Konzepte oft über Bord geworfen, sobald man sich gemeinsam zu einem Trad-Game oder auch OSR-Spiel hinsetzt.

Wir haben ja jetzt darüber gesprochen, wie man sich eine halbwegs gute Spielfigur erstellt. Nun gibt es zwei Wege, damit umzugehen:

  1. Man hofft, dass die SL sich den ganzen Kram irgendwie merken kann und meisterhaft in das Spiel einbaut.
  2. Man baut den ganzen Kram selbst in das Spiel ein.

Beispiel: Laut seiner Hintergrundgeschichte ist Alrik Alrikson ständig auf der Suche nach dem finsteren Kult, der vor 20 Jahren seine Schwester entführt hat. So die Theorie. In der Praxis wird das meistens nie wieder erwähnt werden und Alrik Alrikson beschäftigt sich Zeit seines Abenteurerdaseins mit gänzlich anderen Dingen. Das liegt nicht daran, dass die Spielleitung blöd ist. Es ist einfach ein schwieriger Job, der sowieso schon ziemlich viele Notizen und Buchhaltung erfordert.

Wenn der oder die Spielende von Alrik Alrikson möchte, dass Alrike irgendwann wieder auftaucht, wird er oder sie die Spielleitung schon mal sanft in die Richtung stoßen müssen. Dazu mal zwei Spielszenen:


SL: Ihr betretet die Taverne. Einige Leute sind an den Tischen in Gespräche vertieft, hinter der Theke verteilt ein stämmiger Wirt Dreck gleichmäßig auf Krügen.

Alrik Alrikson: Fällt mir irgendwas Besonderes in der Taverne auf?

SL: Nicht wirklich, es ist eine typische Taverne dieser Gegend.

Alrik Alrikson: Dann frage ich mal den Wirt, ob er etwas von MacGuffin des aktuellen Abenteuers weiß.


Und so weiter. Variante 2:

SL: Ihr betretet die Taverne. Einige Leute sind an den Tischen in Gespräche vertieft, hinter der Theke verteilt ein stämmiger Wirt Dreck gleichmäßig auf Krügen.

Alrik Alrikson: Ich schaue mir die Leute in der Taverne genauer an. Trägt einer von Ihnen die Insignien des blauen Lurchgottes?

SL: Was für ein Ding?

Alrik Alrikson: Der Kult, der meine Schwester entführt hat.

SL: Ach so, klar natürlich. In der Ecke sitzen zwei verhüllte Gestalten, deren Umhänge mit blauen Broschen zusammengehalten werden. Wenn du näher herangehst, erkennst du den blauen Lurch!

Alrik Alrikson: Ich setze mich zu ihnen und lade unter dem Tisch meine Armbrust durch.


Die Spielenden dürfen und sollen durchaus ihre eigene Agenda vorantreiben und durchsetzen. Eine halbwegs erfahrene Spielleitung sollte in der Lage sein, die Geschichte aufzunehmen und weiterzuspinnen. Achtung: Wenn die Spielleitung noch sehr neu dabei ist, sollte man vorher ansprechen, ob sowas okay ist! Die ersten Sitzungen ist es vielleicht sinnvoller, das ein oder andere Kaufabenteuer einfach herunterzuspielen, um ein Gefühl für das Spielleiten zu bekommen.

Aber wenn die Spielleitung schon Erfahrung hat, wird sie sich vermutlich sogar darüber freuen, wenn die Spielenden selbst Handlung ins Spiel bringen. Hat man eine Runde mit 4 bis 5 Leuten, die das alle so handhaben, wird extrem viel Last von den Schultern der SL genommen, denn die Geschichte schreibt sich mehr oder weniger von selbst.

-Seba