Drama als Charaktertechnik

Für die Blogparade möchte ich darüber sprechen, wie man Drama als Technik zur Ausgestaltung von Charakteren (Nicht-Spieler- als auch Spieler-) verwenden kann.

Dazu möchte ich ein bisschen ausholen. In der bis heute einflussreichen Dramentheorie von Aristoteles besteht ein dramatisches Stück aus sechs Elementen (ich zitiere aus der Wikipedia): die Handlung (mythos), die Charaktere (ethos), die Rede oder Sprache (lexis), der Gedanke bzw. die Absicht (dianoia), die Schau (opsis) und der Gesang bzw. die Musik (melopiia). Dabei unterscheidet Aristoteles zwei Formen des Drama: die Tragödie und die Komödie.

Während wir heute diese beiden Begriffe mit Tragik und Humor gleichsetzen, also einem schlechten Ende und Trauer bzw. einem guten Ende und Freude, sind die Begrifflichkeiten bei Aristoteles komplexer. Das können wir für diesen kurzen Blogpost nicht gebrauchen, deshalb kürze ich alles weitere auf ein einfaches Konzept der Tragödie zusammen: Jede Figur ist in unauflösbare Konflikte verstrickt und aufgrund ihrer eigenen Unzulänglichkeiten scheitert ihr Streben nach Besserem letztlich unausweichlich.

Der Drehbuchautor John Rogers brachte das mal in der Tabletop-Folge zu Fiasco auf den Punkt, dass er für jede Figur drei Fragen braucht:

  1. Was will diese Person?
  2. Warum kann sie es nicht haben?
  3. Warum soll mich das interessieren?

Fragen 1 und 2 sind für mich ein sehr gutes Hilfsmittel, um schnell einen tragischen Charakter zu entwerfen – was will er und warum kann er es nicht haben? Um so besser, wenn die Antwort auf Frage 2 auf seine eigenen Schwächen verweist. Gorban der Zwerg kann das Blaue Juwel nicht haben, weil er dessen Macht für die falschen Zwecke missbrauchen würde, nicht weil es im Dungeon von Lord Zergothrax verborgen ist. Sybeline die Elfenprinzessin will Freiheit, doch die starre Etikette des Hofes schnürt sie ein und sie will ihrer Verantwortung nicht entfliehen.

Ich benutze solche eine Überlegung regelmäßig bei solchen NSCs, für die ich nur kurze Vorbereitungszeit habe. Diese Technik kann auch genauso gut bei Spielercharakteren funktionieren. Mit meinem Zauberkundigen Owangitu dem Unfertigen hatte ich sehr großen Spaß in einer OSE-Kampagne. Owangitu war unvorsichtig, gierig und davon überzeugt, dass er zu Höherem berufen war. Oft konnte er mit schierem Bluffen das bekommen, was er wollte. Er starb, weil er im Kampf gegen einen Drachen die Initiative verlor, doch hatte er mit seiner waghalsigen Zauberei dem Drachen vorher so viel Schaden beigefügt, dass der Rest der Gruppe ihn besiegen konnte. Ein stimmiges Ende für den übermütigen, ungeduldigen, von sich selbst eingenommenen Owangitu.

Wenn man es noch weitertreibt, führt einen das zu Spielansätzen wie „Play to lose“, die anscheinend im Storygame-Umfeld diskutiert werden. (Ich weiß davon nichts viel und kenne den Begriff nur aus dem wunderbaren Rollenspiel-Prepcast.) Für OSR-Spielende dürfte dieser Ansatz fremd klingen, da es dabei eher um das Überwinden von Herausforderungen geht. Es mag sogar als Bruch des impliziten Gruppenvertrags gesehen werden, wenn man einen Charakter baut, der seinem Schicksal nicht ausweichen kann und unweigerlich scheitern wird. Aber auch da gilt, wie quasi immer, redet miteinander.

Veröffentlicht von Rackhir

Autor von Zalú und zu vielen anderen Projekten gleichzeitig.

4 Kommentare zu „Drama als Charaktertechnik

  1. Die Frage drei beschäftigt mich als Spieler hin und wieder. Das Dilemma, wenn man erkennt, was die SL der Gruppe hinwirft und man etwas anderes an der Szene eigentlich spannender zu verfolgen fände oder man so gar nicht weiss, wie man den angelegten Charakter dafür begeistern soll. Gehe ich meinem Impuls nach und mache damit der SL insbesondere bei Zeitkritischem das Leben schwer bzw. den Plot kaputt? Oder trotte ich bedauernd auf anderes schielend der Karotte nach.

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  2. Da bin ich als Spieler und als SL leidenschaftslos. Alles was im Spiel auftaucht ist fair game. Ich bin aber auch semi-militanter Anti-Plotter.

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