Keep on the Borderlands – aus heutiger Sicht

Das Abenteuer Keep on the Borderlands ist ein Klassiker für Dungeons & Dragons. 1979 von Gary Gygax selbst als Einsteigerabenteuer geschrieben, ist es berühmt, weil es ab 1980 mehrere Jahre lang der englischen Basis-Box von D&D beilag, bis 1983 die berühmte „Red Box“ erschien.

Warum ist ein 45 Jahre altes Abenteuer heute relevant? Zum einen, weil es eben so berühmt ist, zum anderen, weil es laut WotC ab Mitte September 2025 für die neue Einsteigerbox neu veröffentlicht werden wird.

Das Abenteuer, damals Modul genannt, wurde im Original von 1980 bis 1983 mehrfach nachgedruckt, und zuletzt 1999 im Zuge des „Silver Anniversary“ erneut aufgelegt. Es gab auch Übersetzungen: Französisch, Deutsch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch und Spanisch. Die deutsche Übersetzung hat Ulrich Kiesow gefertigt, der kurz darauf einer der Väter des Schwarzen Auges wurde.

Es gab auch zahlreiche Neufassungen und Variationen, so das „Return to the Keep on the Borderlands“ (TSR, 1999), das „Little Keep on the Borderlands“ für HackMaster (Kenzer, 2002), eine Parodieversion von AD&D, einen Roman von WotC (2001), ein Remake für D&D5 zusammen mit einem anderen Einführungsabenteuer unter dem Titel „Into the Borderlands“ von Goodman Games (2018) , „Barkeep on the Borderlands (Prismatic Wasteland, 2023) und sicherlich noch mehr. Das „Beyond the Borderlands“ zine mit drei Ausgaben für OSR-Spiele ist auch davon inspiriert.

Die Blogbeiträge, Rezensionen, Auseinandersetzungen, Let´s Play, Variationen etc. sind Legion. Das hier aufführen zu wollen, wäre müßig und wenig zweckmäßig. Auch Karten, Modelle etc. sind in beliebiger Zahl verfügbar. All das zeigt, dass sich viele Menschen in den letzten 45 Jahren mit diesem Modul beschäftigt haben und weiterhin beschäftigen. Vielfach ist diese Befassung damit der Nostalgie geschuldet – vergoldet diese das Abenteuer?

Das Abenteuer ist vom Layout her typisch für die Zeit. Es sind 32 Seiten mit einem losen Umschlag, auf dessen Innenseite eine Karte (der Caves of Chaos) abgedruckt ist. Das eigentliche Heft beginnt nach dem Titel auf Seite 2 mit einer kurzen Einführung, einem Abschnitt mit Anmerkungen für den Dungeon Master und vielen Hinweisen, die bis Seite 6 reichen. Dann beginnt unmittelbar der Abschnitt, der die namengebende Festung beschreibt – unter anderem werden gleich Gerüchte aufgeführt, die die Charaktere erfahren können. Es werden gut zwei Dutzend Orte mit den zugehörigen NSC beschrieben – die allerdings samt und sonders nur über ihre Funktion benannt werden, und keine Namen haben. Das Modul ist generisch, und meint das ernst. Alle Orte und Ortsbezüge sind so vage, dass sie sich in jede beliebige Fantasywelt einbauen lassen können, und Namen würden da nur eine Festlegung sein.

An die Beschreibung des Keeps schließen sich anderthalb Seiten mit Wildnisbeschreibung an, mit ganzen vier Begegnungen. Dann folgt der Kern des Abenteuers, die „Caves of Chaos“, die sich in einem kleinen Seitental befinden, mit über 60 beschriebenen Orten. Durch das Haupttal führt eine Straße irgendwo hin. Diese Höhlen des Chaos werden auf 10 Seiten beschrieben. Abgerundet wird das Heft durch eine Karte des Keeps, eine Karte der Wildnis, zwei Seiten mit Referenzen zu Ausrüstung und Regeln, generischen NSC, Hinweisen für die Spieler, einem Glossar und einigen Spielhilfen.

Das Abenteuer ist ziemlich vollgepackt. Artwork ist im inneren wenig vorhanden, und der Text ist eine ziemliche Bleiwüste, nach heutigen Maßstäben, auch das damals typisch.  So weit zum formalen Aufbau.

Was bietet das Abenteuer inhaltlich? Das namengebende Keep ist ein Vorposten der Zivilisation, die natürlich „lawful“ ist und vom Chaos bedrängt wird. Das Chaos in Form von Orks, Goblins und co. haust in den Caves of Chaos. Die SC sind die Helden, die dieses Chaos ausräumen (sollen). Das ist die Kurzform. Einen tiefergehenden Plot bietet das Abenteuer nicht. Es gibt allerdings an vielen Stellen Hinweise, wie man die Situation erweitern kann, mit den vorgestellten NSC und Monstern.

Das Abenteuer ist ja explizit als Einführungsabenteuer gedacht gewesen. Diesen Zweck erfüllt es meines Erachtens nur bedingt. Es präsentiert eine Situation, die in vielen Details vom Spielleiter noch ergänzt werden muss, es ist sehr „bare bones“. Die fehlenden Namen und die nur allgemein als lawful und chaotic angegebenen religiösen Kulte erfordern eigentlich einige Überlegung, wo und wie das Abenteuer in einer Spielwelt zu platzieren wäre, und davon abgeleitet, einige Dutzend Namen, ein oder zwei Kulte, und die Frage, in welche Zivilisation die Situation eigentlich eingebunden ist. Wo führt die Straße eigentlich hin? Und wer ist der Lehnsherr, wenn vor Ort nur ein Kastellan das Sagen hat? Da kann man sagen, ist halt nur eine Einführung, da sind diese Details irrelevant. Sicherlich. Aber das muss ein Anfänger erst einmal erkennen und damit umgehen.

Die Monster in den Höhlen sind von sehr unterschiedlicher Macht – Kobolde und Goblins sind vielleicht noch angemessen, Orks in größerer Zahl schon schwierig. Ein Minotaurus ist da auch zu Hause, der macht aus einer Anfängergruppe Hackfleisch. Die „Lösung“ ist, dass NSC den SC raten, bei den Höhlen weiter unten im Seitental anzufangen, oben ist es zu gefährlich. Oder die gefährlicheren Höhlen zunächst durch Illusionen zu verbergen. Gutes Abenteuerdesign ist das meines Erachtens nicht gerade.

Ich finde, den Anspruch eines Abenteuers für Anfänger erfüllt das Keep nur bedingt. Die Motivation der SC ist eher ein allgemeines „wir streiten gegen das Chaos“, die Beschreibung ist dann so knapp gehalten, dass sie noch viel Arbeit braucht, und das Abenteuerdesign selber ist mittelmäßig. Eine andere Motivation mag sein, dass die Abenteurer damit Geld verdienen können, was für das frühe D&D durchaus passend ist. Die Schwierigkeit ist natürlich immer, dass ein kommerziell publiziertes Abenteuer recht generisch sein muss, um damit möglichst viele Käufer anzusprechen. Trotzdem überzeugt es mich nicht.

Ich finde das Abenteuer aber noch unter einem ganz anderen Aspekt schwierig, aus heutiger Sicht. Es ist ja öfter mal die Rede davon, dass Abenteurer in D&D „Cowboys mit Schwerten“ sind, also weit weg von einem pseudomittelalterlichen Gesellschaftsverständnis agieren. Das ist erst mal noch kein Problem. Aber an der Stelle weitergedacht, kriegt dieses Abenteuer unter Umständen einen ganz anderen Twist. Das Abenteuer geht von der Prämisse einer feudalen Gesellschaft aus, die am Rande der Wildnis eine Grenzfestung errichtet, zweifellos, um das wilde Land zu zähmen und sich auszubreiten. Dabei setzt es auch voraus, dass die Zivilisation die „guten“ sind und die Wildnis (das Chaos) die „bösen“. Das ist in meinen Augen eine Reflektion auf Geschichtsschreibung bis etwa zur Mitte des 20. Jhs., die die Kolonisierung und das „Zähmen“ der Wildnis als selbstverständlich und tendenziell positiv sieht, nicht zuletzt auf das (falsch interpretierte) Bibelwort „macht euch die Erde untertan“ zurückgehend. Ich gehe davon aus, dass Gygax und co. dieses Geschichtsbild so aufgenommen und wiedergegeben haben, da sie im Kontext des Wargaming immer wieder mit Geschichtsschreibung konfrontiert waren, die in den 60er und 70er Jahren noch einen stark europäischen Blickwinkel hatte. Nimmt man die Festung und setzt sie gedanklich in das 18 oder 19 Jh. irgendwo in Amerika, an den „Rand der Zivilisation“, und ersetzt man die „primitiven“ Monster gedanklich mit indigenen Völkern, kriegt die Geschichte einen sehr üblen Beigeschmack.

Nun kann man einwenden, dass das überinterpretiert sei. Das ist möglich. Angesichts der Diskussionen in den letzten Jahren, ob es legitim ist, im Fantasy-Rollenspiel Angehörige nicht-menschlicher Völker pauschal und ohne Ausnahme als Böse darzustellen (ich finde, dass es nicht legitim ist), sollte die Überlegung aber zumindest erlaubt sein. Das Argument, es sei ja Fantasy, und daher nicht relevant, greift meines Erachtens zu kurz. Jegliche Publikation ist real und kann Einfluss auf die reale Welt haben, hier zumindest auf die Leser/Spieler. Es geht nicht darum, was die Leute an ihren heimischen Spieltischen machen, sondern darum, was publiziert wird.

Es braucht nicht viel, um das ganze Bild zu kippen, mir kommt dabei der Film „Quigley down under“ in den Sinn – kurz gesagt, heuert ein Bösewicht einen Scharfschützen an, vorgeblich um in Australien Dingos zu bekämpfen, aber er will dann Aborigines töten lassen, was der Scharfschütze verweigert. Das ist nicht so weit weg von realhistorischen Gegebenheiten, in denen Angehörige nicht-europäischer Völker als minderwertig angesehen wurden, und entsprechend abgeschlachtet wurden.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass Gygax das oben umrissene Geschichtsbild besaß, und dieses wie selbstverständlich seine Arbeit beeinflußt hat. Damit ist er nicht alleine. Es gibt ein weniger bekanntes Abenteuer für Basic D&D (X 8, Drums on Fire Mountain, 1984), das ein Rezensent mal als „racist as fuck“ bezeichnete. Die Haupt-NSC sind übergewichtige Südsee-Insulaner-Orks, die einen primitiven Ahnenkult betreiben, bis die SC kommen und dem ein Ende machen. Ich unterstelle den Autoren Graeme Morris und Tom Kirby keinesfalls eine absichtliche rassistische Darstellung der NSC. Die Darstellung ist allerdings kaum anders zu interpretieren, und noch mit dem „White-Saviour-Trope“ obendrauf. Es sind verinnerlichte Rassismen, die unbewusst in die eigenen Werke einfließen, weil sie niemals hinterfragt, sondern eher immer wieder wiederholt wurden. Das macht das Ergebnis nicht besser.

In Summe finde ich dieses Abenteuer heute problematisch. WotC hat sich zuletzt bemüht, Rassismen und andere -ismen aus ihren Produkten rauszuschreiben, was manchen Leuten sauer aufstößt, weil damit auch ihre eigenen Denkmuster zumindest in Frage gestellt werden. Mal sehen, wie WotC mit diesem Abenteuer umgeht. Ich hoffe, dass es einer kritischen Betrachtung unterzogen wurde. In wenigen Wochen wissen wir mehr.

3 Kommentare zu „Keep on the Borderlands – aus heutiger Sicht

  1. Ich geb Dir mit deiner Einschätzung recht, da steckt einiges an Problemen in dem Abenteuer drin. 2021 hab ich mir das Abenteuer selber besorgt und mir ein paar kurze Gedanken dazu gemacht. Eine meiner Aussagen war damals:

    ABER: Das Modul ist 40 Jahre alt. Ich glaube ja an den Fortschritt der Menschheit hin zu einer friedlichen, inklusiven, freien Zukunft. An diesem Modul und den Textpassagen, die ich oben zitiert habe, kann man sehen, wie weit wir schon auf dem Weg gekommen sind. Wir sind sicher noch nicht da, wo wir hin sollten, aber wir haben schon ein ganz schönes Stück geschafft. Zudem kommt das ganze aus der Skirmish und Wargame Szene. Da mcht man sich eher über die Herausforderungen als über den Hintergrund Gedanken. Sollte es gecancelt werden? Nö. Es ist ein Produkt der Zeit, es gibt aktuell weit bessere. Eine Triggerwarnug bei einer Neuauflage und ein paar Ideen, wie es besser gemacht werden könnte, das reicht meiner Meinung nach. Im Grunde sind sowieso alle Abenteuer und Module Steinbrüche, die nach dem Marmor für ein eigenes Abenteuer zerkloppt werden müssen was, für alte DSA-Sachen, das Zock-Bock-Radio am radikalsten macht.

    Wenn du mir jetzt sagst, dass das Modul in der D&D-Community eine entscheidende Rolle spielt, muss ich wohl den Absatz mit den Triggerwarnungen überdenken.

    Ich habe mich übrigens an meinen Rat gehalten und mir aus dem Keep die Höhlen des Chaos rausgenommen und umgeschrieben. Dabei ist ein Abenteuer für DSA1 rausgekommen, bei dem die Bewohner der Höhle auch die Personagen, die sich durch die Höhle zwängen (hab einige Gänge enger gemacht). Hier die Rakshazar-DSA1-Version:

     Campaign-a-Week 1: Flucht in die Tiefe –  ein DSA1 Dungeon Crawl für Stufe 0  – dnalorsblog

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  2. Das Abenteuer hat aufgrund seiner Geschichte – es wurde wahrscheinlich millionenfach gedruckt – einen bedeutenden Status bei den Leuten, die damit mit D&D angefangen haben. Ich habe vor Jahren in einem mehrheitlich US-amerikanisch dominierten Forum dieses Thema mal angeschnitten. Das war keine gute Idee. Am Ende habe ich den Post lieber wieder gelöscht. Dazu passen posts auf X (FKA Twitter), in denen sich Leute über die Darstellung der Orks im aktuellen D&D Players Handbook (oder bei Cosplays) aufregen und ihre häßlichen Orks mit Schweineschnauze wiederhaben wollen. Wenn man da auch nur andeutet, dass der Inhalt, den sie so lieben, problematisch sein könnte, gehen die hoch wie eine Rakete. Viele können oder wollen nicht sehen, dass Inhalte, die damals gängig waren, heute durchaus anders bewertet werden können. Typisches Argument „Es ist doch Fantasy, und hat mit der realen Welt nichts zu tun“. Doch, hat es. Es sind transformierte Wiedergaben verinnerlichter Stereotypen, die auf negativen Haltungen wie Rassismus beruhen. Wie gesagt, ich glaube nicht, dass Gygax oder die anderen Autoren Rassisten sind bzw. waren. Aber die Geschichtsschreibung und die Darstellung in der Literatur und den Filmen greift oft auf Weltsichten zurück, die ihre Basis zum Teil eben bei Rassismen und anderen -ismen hat. Von Tolkien ist bekannt, dass er seine Orks zum Teil an innerasiatische Menschen angelehnt hat. Das zeigt, dass Autoren selbstverständlich auf Bilder und Beschreibungen aus der realen Welt zurückgreifen, und damit Stereotypen und Rassismen auch in die Phantastik weitertragen.

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  3. @ stebehil: ich glaube, dass das die Auswirkungen eines seit Jahren tobenden Kulturkampfes sind. In der einen Ecke stehen die Ultra-Konservativen, die kein Jota (Bibelreferenz beabsichtigt) verändern wollen und das Alte als Ausdruck kultureller Höhe verstehen, zu der unbedingt zurückgekehrt werden muss und den Ultra Progressiven, die alles Alte ablehnen und die es verbannt und gestürzt sehen wollen. Das das eine falsche Dichotomie ist und es noch einen dritten Weg gibt, der Gutes erhalten, Schlechtes ändern und so das ganze weiterentwickeln will, wird übersehen.

    Diskurs ist zu einem Wettkampf geworden, bei dem es nicht mehr darum geht, sich mit der Sache auseinanderzusetzten, eigene Sichtweisen zu schärfen und Kompromisslinien auszuloten. Es geht immer mehr darum, die andere Seite niederzuschreien und in seiner Bubble als Sieger vom Feld zu gehen. Die Tauben haben das Schachbrett übernommen.

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