Gute Spieler-Charaktere erstellen. Je platter, desto besser

Eine Rollenspielgruppe hat im Normalfall keinen Protagonisten. Das bedeutet, dass entweder alle Spielercharaktere Protagonisten sind oder keiner von ihnen ist der Protagonist. Beide Ansätze sind valide und es kommt ein bisschen darauf an, wie viel Raum man in seinem Spiel für „reines Rollenspiel“, aka „In der Taverne sitzen und shoppen gehen“ einräumt.

Ich selbst spiele normalerweise eher Abenteuer-fokussiert als Charakter-fokussiert. Das bedeutet, dass in meinen Spielrunden selten genug Zeit ist, um alle Facetten eines komplizierten und vielschichtigen Charakters zu erforschen. Wir kommen also zu dem anderen Ansatz: Keiner der Charaktere ist der Protagonist. Es ist eine Truppe von Nebencharakteren.

Ängstlichkeit kann auch sehr sympathisch wirken ((c) Leonardo.ai)

Was zeichnet Nebencharaktere aus? Sie haben für gewöhnlich ein extrem hervorstechendes Persönlichkeitsmerkmal und/oder eine sehr ausgeprägte Marotte. Nehmen wir zum Beispiel Idefix: Naturgemäß hat der kleine Hund keinen besonders großen Redeanteil in den Asterix-Comics aber trotzdem weiß jeder, wofür Idefix steht. Er ist niedlich und er liebt Bäume. Immer, wenn in seiner Anwesenheit ein Baum gefällt wird, heult er auf oder wird sogar agressiv. Idefix ist also im Grunde ein Waldelf.

Ein anderes Beispiel wäre der Kapitän in Tim und Struppi. Er ist mutig, versoffen und bedient sich einer blumenreichen Sprache. Komplizierter muss der Charakter nicht sein, damit man ihn sehr schnell versteht und schwer wieder vergessen kann.

Das geht auch im Team, denken wir nochmal an Asterix. Schmied Automatix und Fischhändler Verleihnix haben eigentlich beide nur ein einziges Charaktermerkmal: Sie mögen sich gegenseitig nicht. Diese Eindimensionalität hält sie nicht davon ab, über Dekaden unterhaltsam zu sein. Im Gegenteil: Es ist schön zu wissen, was man von ihnen zu erwarten hat.

Genauso funktioniert das mit Spielercharakteren im Rollenspiel. Ein hervorstechendes Charaktermerkmal und eine ausgeprägte Marotte sind genug. Alles, was darüber hinaus geht, macht den Charakter unvorsehbarer und damit weniger ikonisch.

Ein paar Beispiele:

  • Der weise Magier, der extrem schwerhörig ist und alles missversteht.
  • Der mutige Kämpfer, der sehr kleinlaut wird, wenn er es mit einem stärkeren Feind zu tun hat.
  • Die Waldläuferin, die die Natur beschützt aber sehr vergesslich ist.
  • Die Diebin, die alles glitzernde einsteckt aber immer damit angibt und nichts geheim halten kann.
  • Der übervorsichtige Kleriker, der die Schuld an missglückten Aktionen immer bei sich selbst sucht.
  • Die beiden Zwergenbrüder, die ständig versuchen, sich in allem gegenseitig zu übertrumpfen.

Wenn es nicht möglich ist, die Persönlichkeit des Charakters in einem Satz zu beschreiben, ist sie vermutlich zu kompliziert, um von den Mitspielern verstanden und wahrgenommen zu werden.

Die anderen Spielenden sind nämlich sehr wahrscheinlich mit ihren eigenen Charakteren und mit der Geschichte beschäftigt. Viel Energie werden sie nicht dafür aufbringen, den Charakter von jemand anderem zu erforschen.

Für alles gilt immer eine Prämisse: Was macht mir UND allen anderen am Tisch Freude? Denn Rollenspiel ist eine Gruppentätigkeit. Der eigene Charakter MUSS das Spiel bereichern. Und er muss einem selbst Spaß machen.

In diesem Sinne,

Seba

Veröffentlicht von Seba

Schreiberling aus Hamburg

3 Kommentare zu „Gute Spieler-Charaktere erstellen. Je platter, desto besser

  1. Müssen sie natürlich nicht grundsätzlich. Aber in der klassischen Heldenreise oder Hero’s Journey wird davon ausgegangen, dass sich Protagonisten im Laufe der Geschichte entwickeln und verändern. Meist durch ein traumatisches Erlebnis oder einen herben Rückschlag. Der klassische 3-Akter halt. Das gilt natürlich nicht für jede Literatur, Geschichte, Filme etc. Insofern hast du vollkommen recht. Aber zu lang und breit erklären und einschränken macht einen Blogpost etwas blöd zu lesen.

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  2. Absolut treffend auf den Punkt gebracht. Wie anders vor dir hast du das Konzept der Eindimensionalität schön beschrieben mit all seinen Vorzügen. Chapeau 👍

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