Die Welt als Spielwelt
Teil 2 von 2
Was ist das nun für eine Spielwelt? Sie zeigt ihre Ursprünge im Wargaming noch deutlich – Hexraster auf der Karte, Angaben zu Ressourcen, Militär und Bevölkerung für die einzelnen Länder etc. Die Weltbeschreibung ist zumindest anfangs sehr knapp gehalten gewesen, um der jeweiligen Spielleitung viel Raum für eigene Ideen zu lassen. Die Welt ist eindeutig von Menschen geprägt und überwiegend besiedelt, wobei die Siedlungsdichte mehr als genug Platz läßt für Wildnis. Die Geschichte dieser Welt ist von Kriegen und Migration geprägt, vom Aufstieg und Fall (menschlicher) Reiche. Die meisten der etwa 50 Länder sind von Menschen regiert, Zwerge, Elfen und andere Wesen treten nur ganz vereinzelt als Herrscher auf. In der ursprünglichen Version war ein Halbork noch fast ein Monster, und ein Monster als Charakter undenkbar. Auch von zwergischen Magiern hatte niemand etwas gehört. Die menschlichen Ethnien wurden detailiert beschrieben, aber mit dem Hinweis versehen, dass die meisten Menschen ohnehin darauf wenig Wert legen und keine Ethnie eindeutig zuzuordnen sind. Technisch ist die Welt auf einem spätmittelalterlichen Stand, aber ohne Buchdruck und Schußwaffen. Schwarzpulver funktioniert hier einfach nicht. Es ist das typische „Fäntelalter“.
Der Kontinent heisst Flanaess, der Name weist auf die menschlichen Ureinwohner, die Flan, hin. Diese sind überwiegend an den Rand gedrängt worden von späteren, aggressiveren Einwanderern, die ihrerseits vor Gewalt und Zerstörung davongezogen sind. Eine Parallele zu den nordamerikanischen Ureinwohnern ist nicht zu übersehen.
Das Böse war von Anfang an natürlich präsent – ob nun ein wahnsinniger Hochkönig ein zerfallendes Reich regiert, oder ein Dämon über einen Landstrich herrscht, der Tolkiens Mordor mindestens ebenbürtig ist, oder ein Land von Priestern eines düsteren Todesgottes beherrscht wird – oder aber ein bis dato neutraler Magier seine Mitstreiter verrät, sie töten will und darangeht, eine Diktatur zu errichten, weil er meint, er wüsste, was das beste ist… Die vergangenen Kulturen haben zahlreiche Spuren hinterlassen, die es nun zu erkunden gilt. Oft genug hausen in den alten Ruinen und Gräbern bösartige Kreaturen, angefangen von Orks bis hin zu mächtigen untoten Zauberern. Zwei antike Reiche haben sich gegenseitig mit Magie ausgelöscht, was schon lange her ist, aber die Welt bis heute teilweise prägt. Die Kräfte des Guten versuchen, ein Gegengewicht zu bilden, und unternehmen oft heldenhafte Anstrengungen dabei. Und dazwischen finden sich alle Arten von Glücksrittern, die vor allem ihren eigenen Vorteil suchen.
Im Gegensatz zu den Forgotten Realms läuft hier nicht an jeder Ecke ein Erzmagier herum, die Herrscher waren in der ersten Box namentlich und mit Klasse und Stufe aufgelistet, diese lagen zwischen 10 und 18 und waren vielfach Kämpfer, und bildeten somit die Option ab, dass hochstufige Charaktere zu Herrschern werden konnten, wie das in den AD&D-Regeln vorgesehen war.
Die namensgebende Stadt Greyhawk ist ein Beispiel für die Grautöne in dieser Welt. Sie wird von einem Bürgermeister regiert, dessen Zugehörigkeit zur örtlichen Diebesgilde ein offenes Geheimnis ist. Das Oberhaupt der Assassinengilde sitzt ebenfalls im Stadtrat. In der Stadt kann man alles für den richtigen Preis bekommen, heißt es. Aber auch hier ist das gute durchaus präsent, sowohl offensichtlich in der Form von Tempeln und Priester guter Gottheiten, wie auch verdeckt, mit Personen, die weniger offensichtlich agieren. Auch Wissen wird in der Stadt vermittelt, so werden hier Magier und Barden ausgebildet. Die Stadt herrscht auch über ihr Umland als Stadtstaat und hat daher auch militärische Präsenz.
In der Geographie des Kontinents finden sich teils noch Reste von Gary Gygax eigener Version, die im Grunde eine Karte von Nordamerika als Grundlage verwendete. So ist nördlich der Stadt Greyhawk ein großer See zu finden, der Nyr Dyv (Gary Gygax hatte eine Vorliebe für Namen mit Y und X). Der Umriß des Sees entspricht dem des Lake Superior sehr genau. Die Schweiz, die Heimat von Gygax´ Vater, findet sich zumindest als Idee auch wieder – ein Land, das im Gebirge liegt, in Kantone unterteilt ist und Perrenland heißt, mit der Hauptstadt Schwartzenbruin und dem Vormann Franz. Infanterie mit Piken haben sie auch…
Was man von den ersten Abenteuern noch vor der Publikation von D&D weiß, deutet darauf hin, dass die Welt nur den Hintergrund für die Abenteuer bildete, die sich sehr stark an Sword & Sorcery-Geschichten anlehnen – die Charaktere sind oft eher neutral und häufig auf ihren eigenen Vorteil aus, und räumen daher die Dungeons aus. Das Setting galt vielfach als generisch und hat erst mit den Änderungen von Carl Sargent einen Fokus bekommen, in dem die Konflikte Gut gegen Böse eine zentrale Rolle spielen. Aber die Welt bietet weiterhin eine große Bandbreite an Möglichkeiten.
Die Welt wurde anfangs auch durch die publizierten Abenteuer geprägt, viele davon sind heute Klassiker und werden immer mal wieder neu aufgelegt. Temple of Elemental Evil ist ein Beispiel, die Queen of the Spiders-Kampagne, bei der es erst gegen Riesen, dann ins Unterreich gegen Drow und andere Kreaturen geht, ein weiteres. Viele der für die 5. Edition wiederveröffentlichten Abenteuer haben ihre Grundlage auch in den Klassikern – Storm Kings Thunder, Tomb of Annihilation und andere.
Ein weiterer Aspekt, der die Welt für D&D und seine Geschichte relevant macht, sind die Namen, die immer wieder auftauchen. Viele SC und NSC aus früheren Abenteuern finden sich z.B. in den Namen von Zaubersprüchen oder Artefakten wieder. Mordenkainen, Nystul, Rary, Tasha, Otto, Melf und weitere sind SC oder NSC von der World of Greyhawk, ebenso Nolzur, Heward, Ehlissa und weitere Namensgeber für magische Gegenstände. Eine der bekanntesten Gestalten ist sicherlich Vecna (der Name ist ein Anagramm von Vance – Jack Vance war ein wichtiger Einfluss auf D&D), dessen Relikte – Auge und Hand – schon früh auftauchten, aber erst später Plot Device erschienen sind.
In Summe ist Greyhawk eine relativ generische Fantasywelt, was sich auch daraus erklärt, dass sie als Hintergrund für die frühen Abenteuer gedient hat. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass sie überwiegend skizzenhaft definiert ist und viel Freiraum läßt, auch wenn in den 1990ern einiges Material erschienen ist, das mehr Details bringt, und die 2000er auch noch mehr Material brachten. Durch ihr hohes Alter ist sie im Original sehr stark auf Menschen ausgerichtet, und hatte die in den alten Regeleditionen gängigen Einschränkungen für nicht-menschliche Charaktere, was die Klassenauswahl angeht. Die 3. Edition ab 2000 hat diese Einschränkungen beseitigt, und seither ist die Auswahl an spielbaren Völkern angewachsen, die zuvor sehr optional war.
/Die „World of Greyhawk“ Teil 1 findet sich hier.
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