Gestern abend habe ich mit meiner Tochter Prinzessin Mononoke angesehen, mein zweites Mal seit einem Kinobesuch vor 24 Jahren. Der Film ist immer noch sehr gut – nicht ganz so gut wie Chihiros Reise ins Zauberland, aber er ist dennoch spannend, kurzweilig und gut erzählt. Nebenbei habe ich vier Ideen bekommen, die ich hier nochmal zusammenfassen möchte (Vorsicht: Spoiler!).
Fraktionenspiel
Mononoke ist ein Musterbeispiel für Fraktionenspiel. Es gibt zum einen den Waldgott und die Geister der Natur, die ihm nominell folgen. Doch zwischen den Wölfen, den Affen und den Keilern gibt es Spannungen. Alle hassen die Menschen, doch die Affen wollen vor allem ihren Wald wieder haben, während die Keiler Rache für den Tod ihres alten Anführers suchen. Die Wölfe sind ambivalenter, weil ihre Anführerin ein menschliches Kind aufgezogen hat. Unter den Menschen gibt es Lady Eboshi, die Herrscherin der Eisenstadt, die den Wald abholzen will, einen verfeindeten Anführer einer Samuraiarmee, der nach den Reichtümern der Eisenstadt trachtet, und Jigo, ein Mönch, der als Geheimagent des Kaisers agiert und den Waldgott töten soll.
Die Hauptfigur Ashitaka stolpert in dieses komplexe Geflecht hinein und hat das nahezu unmögliche Ziel, für Frieden zwischen Mensch und Natur zu sorgen. Dazu verbündet er sich zeitweise mit verschiedenen dieser Gruppen, deren Beziehungen zueinander sich ebenfalls dynamisch weiterentwickeln. Besonders inspirierend finde ich, dass die Ziele der Fraktionen oft nicht diametral gegeneinander stehen, ohne deshalb deckungsgleich zu sein. Das schafft Spielräume für situativen Konflikt, aber auch für Dialog.
Komplexe Hauptfiguren
Es ist inzwischen ein Klischee, dass es keine reinen Bösewichte mehr gibt. Klar, für manche Settings ist es passend, dass der Endgegner auch wirklich böse ist, Lust an Chaos und Zerstörung hat, Kindern den Lutscher klaut und Hunde tritt. Aber für ein komplexes Kampagnensetting finde ich komplexe Hauptfiguren attraktiv, denn mit Figuren, die nur das Böse kennen, gibt es keinen Kompromiss, keinen Dialog, nur die Sprache des Schwerts.
Mononoke gelingt es sehr gut, seinen wichtigsten Figuren, auch Ashitakas Antagonisten, realistische Motivationen und positive Charakterzüge zu geben, auch wenn sie alle tragische Gestalten sind, zumindest phasenweise. Lady Eboshi ist eine ruchlose Kriegsherrin und autoritäre Anführerin, aber sie nimmt Aussätzige und Prostituierte als Arbeiter:innen in ihre Stadt auf, wo sie mit Würde behandelt werden und Lady Eboshi dankbar sind. Okkoto der Keiler ist stolz und blind für die Sinnlosigkeit seines Tuns, aber er würdigt Ashitakas Aufrichtigkeit, als dieser vom Tod des Keilergottes Nago erzählt. Jigo der Mönch verfolgt eine geheime Agenda und will den Kopf des Waldgottes, doch hilft er Ashitaka, als dieser nur ein einsamer Wanderer in einer fremden Umgebung ist.
„Pakt mit dem Teufel“-Fähigkeiten
Ich mag Fähigkeiten und magische Gegenstände, die Segen und Fluch zugleich sind und die einen Preis für ihre Vorzüge verlangen. In meiner Zalú-Kampagne benutze ich so etwas gerne, aber auch in anderen Settings. Wichtig ist mir dabei, dass die Spielenden selbst über ihr Schicksal entscheiden – wollen sie eine Fähigkeit benutzen, müssen sie mit den Konsequenzen leben. Natürlich versuche ich dann, Situationen zu erzeugen, in denen genau diese Fähigkeit sehr nützlich ist…
In Prinzessin Mononoke wurde Ashitaka von einem Fluch befallen, als er den zum Dämon gewordenen Keilergott Nago tötete. Dieser Fluch ist in seinem rechten Arm und in Momenten großer Gefahr verleiht er Ashitaka enorme Kräfte und Zielgenauigkeit. Danach breiten sich die schwarzen Flecken weiter auf Ashitakas Haut aus und versinnbildlichen damit seinen näher rückenden Tod. Ashitaka hat durchaus Kontrolle über die Momente, wo er die Kräfte annimmt, und manchmal zögert er auch nicht, sie zu nutzen, wenn er sich einer Übermacht gegenübersieht. So etwas ließe sich problemlos auch in einem Rollenspiel abbilden.
Unterlegenheit als Ausgangspunkt
Dieser Punkt ist der für mich interessanteste, aber auch der am schwersten zu beschreibende. In vielen Fantasy-Settings, insbesondere in points of light-Szenarien, sind die Siedlungen der Ausgangspunkt, von denen aus eine feindselige Welt erkundet und erschlossen wird. So etwas spielt mit bekannten Gegensätzen von Zivilisation und Barbarei, die ich in einem anderen Post auch nochmal kritisch umkrempeln möchte. Nebenbei werden die SCs hier als Teil einer – für ihre Zeit – technologisch fortschrittlichen Kultur angenommen. In der Welt da draußen gibt es zwar vielleicht alte Ruinen und verlorene Magie einst großer Zivilisationen, aber es gibt nicht so viele Settings, wo man außerhalb der eigenen Heimat auf „überlegene“, technologisch fortschrittlichere Kulturen trifft.
Mononoke benutzt diesen Aufhänger für den Anfang des Films. Ashitaka ist der letzte Prinz der Emishi, einer Minderheit, die sich vor Jahrhunderten vor den Armeen des Kaisers in einem abgelegenen Tal versteckten. Als der Keilerdämon/-gott Nago sein Dorf angreift und ihn im Sterben verflucht, zieht Ashitaka aus, um den Fluch von sich abzuwenden. Leider wird das Motiv nicht zu Ende verfolgt. Ashitaka ist eigentlich die klassische Figur des wandernden Ronin, der in eine fremde Stadt kommt und in deren Probleme verwickelt wird. So schenkt er bereitwillig seine Erinnerungen an seine Heimat weg und kehrt am Ende auch nicht zu den Emishi zurück. Aber gleichzeitig bleibt seine Fremdheit ein interessantes Motiv, da er sich den Problemen und Fraktionen des Settings unbefangen als Außenseiter nähern kann. Weiterhin erhöht es auch spielerisch den Schwierigkeitsgrad, da er nichts von den Feuerwaffen von Lady Eboshi versteht.
Ich habe gerade keine konkreten Pläne, diese Ideen in einem Spiel umzusetzen, aber in der Zukunft komme ich sicherlich darauf zurück. Wenn ihr noch mehr darüber nachdenken wollt, empfehle ich zur Ergänzung außerdem die Episode des Monster Man-Podcasts zu diesem Film.
Es gibt das wirklich sehr schöne Spiel „Too see with eyes unclouded by Hate“. Quasi eine Rollenspielumsetzung von Mononoke im Firebrands Framework. Viele der Themen aus dem Film kommen darin gut zur Geltung.
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