A-Piece-of-History-every-day 2025 – Teil 4 (Die tschechoslowakischen Legionen)

Die tschechslowakischen Legionen waren Verbände tschechischer und slowakischer Freiwilliger, die sich im Ersten Weltkrieg zum Kampf gegen die Mittelmächte (Österreich-Ungarn, Deutschland, Osmanisches Reich) formierten. Am bekanntesten von ihnen war die Legion in Russland, die an der Seite der zaristischen Armee kämpfte. Nach der Oktoberrevolution 1917 und dem Ausbruch des russischen Bürgerkriegs stellten sich die tschechoslowakischen Legionen gegen die Bolschewiken. Ein geplanter Abmarsch nach Westeuropa scheiterte, so dass die Legion den Weg nach Wladiwostok am Pazifik einschlug, um sich von dort auszuschiffen. Die Legion verteilte sich über tausende von Kilometern entlang der Transsibirischen Eisenbahn, kämpfte gegen bolschewikische Truppen, nahm versprengte Weißgardisten auf, allierte sich mit westlichen und japanischen Interventionstruppen, eroberte zeitweise Gebiete und stahl das Zarengold. 1920 einigte sich die Legion mit den Bolschewiken auf freies Geleit, um die 60.000 Soldaten ungehindert abziehen zu können.

Die Legion ist ein Paradebeispiel für eine High Concept-Kampagne. Im Prinzip ist zum Beispiel Twilight 2000 genau auf so eine Kampagne angelegt, was zeigt, dass das Kampagnenkonzept „Militäreinheit hinter feindlichen Linien“ in verschiedenen Settings funktioniert – fantastisch, historisch, post-apokalyptisch oder SF. (Seba hatte vorgestern schon ein anderes Beispiel beschrieben.) Alle SCs sind Teil dieser Legion, die weit hinter den feindlichen Linien und fern von zuhause im Chaos eines Bürgerkriegs gefangen ist.

Jede wichtige Entscheidung ist Teil eines Dilemmas und hat weitreichende Konsequenzen:

  • Sollen wir den direkten Weg zur Grenze suchen und dabei unwegsames Gelände passieren?
  • Welche der beiden Fraktionen sollen wir unterstützen, um den dringend benötigten Nachschub zu bekommen?
  • Sollen Vorräte vom wenigen Geld gekauft werden, das man dabei hat, oder sollen die Truppen plündern?
  • Was soll mit den Anführer:innen einer Meuterei geschehen?

Wichtig ist aus meiner Sicht der Kontext des Bürgerkriegs. Im einem regulären Krieg hat man es mit einem koordinierten und wahrscheinlich übermächtigen Feind zu tun, der die versprengte Legion mit allen Kräften jagt. Das kann auch eine interessante Kampagne sein, ist aber noch mehr auf die militärisch-taktischen Elemente fokussiert. In einem Bürgerkrieg ist das „human terrain“ dagegen abwechslungsreicher. Es gibt keine klaren Fronten, räumlich wie sozial, und man kann sich bei anderen Akteuren nie sicher sein, welche Agenda sie verfolgen und auf wessen Seite sie stehen. Typische Verhaltensweisen, inklusive des Kriegsrechts, verlieren in Bürgerkriegen an Bindungswirkung.

Von der Spielform eignet sich ein solches Kampagnensetting hervorragend für Hexcrawls und ähnliche Ansätze, die die Erforschung des Raums in den Vordergrund stellen. Berge sind kaum passierbar, aber bieten Verstecke; Steppen lassen sich gut bereisen, aber haben wenige Wasserstellen und Nahrungsquellen; Straßen sind schneller, aber werden vielleicht patrouilliert; Wälder bieten Deckung, aber auch für Einheimische. Wenn es um Schlachten geht, kann man diese detailliert mittels Tabletop-Regeln ausspielen, mit abstrakten Mechanismen (wie War Machine aus dem klassischen D&D) simulieren, über Vignetten rund um die SCs erzählen (Lot5R hatte solche Regeln, glaube ich), oder mit guter alter Meisterwillkür handwedeln. Regeln für Bewegung, Traglast und Vorräte sollte man dennoch haben und diese auch beachten, denn das blanke Überleben ist das zentrale Ziel der Kampagne und Dilemmata um die Versorgung der Truppen sind eine wichtige Quelle für interessante Spielsituationen.

Die SCs könnten die Kommandeure dieser Legion sein, um direkt in alle wesentlichen Entscheidungen eingebunden zu sein. Allerdings ergibt sich dann die Raumschiff Enterprise-Problematik, warum die kommandierenden Offiziere auf gefährliche Außeneinsätze geschickt werden. Alternativ spielt man Mitglieder der Fußtruppen oder Spezialkräfte und lässt die Spielenden dennoch die großen Entscheidungen für die Legion treffen. Oder man gibt ihnen von vornherein mehrere Charaktere – eine:n aus der Kommandatur, eine:n aus den Fußtruppen, damit sie auf allen Ebenen eine Figur im Spiel haben.

Zum Start braucht man eine Karte der Region mit Informationen zu Straßen, Siedlungen und Ressourcen, die wesentlichen Regeln für die Bewegung und Versorgung der Truppe, einige NSCs innerhalb der eigenen Truppe sowie zwei bis drei interessante Erzfeinde, Doppelagenten oder Verbündete außerhalb. Dann benötigt man noch ein paar interessante Begegnungen auf den einzelnen Hexfeldern, herumstreifende andere Einheiten und eine Zufallstabelle, um eine chaotische, gefährliche Umwelt für die Charaktere zu erzeugen. Und dann steht einer interessanten Kampagne, bei der man die Daumenschrauben immer weiter anzieht, nichts mehr im Wege.

Veröffentlicht von Rackhir

Autor von Zalú und zu vielen anderen Projekten gleichzeitig.

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