Früher oder später ist alles ein Sturmangriff

Ich spiele mit großer Freude in einer gelegentlichen Runde Scum & Villainy mit, dem „wir dürfen es nicht Star Wars nennen“-Ableger der Forged in the Dark-Reihe. Diese Spiele sind vor allem auf Heists spezialisiert und abstrahieren die Vorbereitung einer Mission sehr stark. Als Spielende wählt man nur die Art, wie man sein Ziel angehen will, beschreibt die Mittel und die Vorgehensweise, und dann wird gewürfelt, wie weit man damit kommt, bis die ersten Komplikationen auftreten. Scum & Villainy unterscheidet Assault (Sturmangriff), Deception (Täuschung), Infiltration (Schleichen), Mystic (Zauberei) und Social (Verhandeln).

Das Cloud Shadow-Prinzip

Uns ist nach vielen Missionen etwas aufgefallen, das so regelmäßig auftritt, dass wir es nach unserem Kopfgeldjägerschiff als Cloud Shadow-Prinzip benannt haben: Früher oder später ist alles ein Sturmangriff! Soll heißen: Auch wenn wir uns clever ins Ziel bluffen, täuschen oder schleichen, geht irgendwann etwas schief und dann werden die Waffen gezogen.

Das muss kein Problem sein und meist ist es tatsächlich keins. Kampf erhöht den Einsatz, erzeugt Spannung und kann auch erzählerisch reichhaltig sein. Es wäre ja auch langweilig, wenn ein Plan ohne Komplikation funktioniert.

Es wird aber dann zum Problem – zumindest für mich – wenn der Sturmangriff der universelle Fail State jeglicher Mission ist. Noch schlimmer, wenn man aus der Nummer auch nicht mehr herauskommt, bis die letzte Wache niedergemacht ist, und alles nur ein elender, statischer Grind wird. Das macht unser Spielleiter nicht so, möchte ich zu dessen Ehrenrettung hinzufügen, aber es ist etwas, was mir anderswo schon häufiger begegnet ist.

Spannende Sturmangriffe

Wie geht man als Spielleitung also mit Situationen um, wenn ein Heist schiefgeht und Aufmerksamkeit erzeugt wird? Wie kann man solche Situationen interessant machen?

  1. Die schlechteste Lösung: Die Umgebung reagiert überhaupt nicht. Die SCs brechen laut polternd eine Tür auf, aber die Wachen nebenan kriegen gar nichts mit und reagieren nur auf direkten Besuch ihrer Wachstube. Da fühle ich mich als Spieler in Watte gepackt und nicht ernst genommen. Also: die Umgebung muss reagieren, Alarme werden ausgelöst, Wachen reagieren und handeln angemessen.
  2. Die zweitschlechteste Lösung: alle Wachen konvergieren direkt auf die Gruppe. Weil die SCs keine Ortskenntnis haben, die wenigen Auswege blockiert werden und manche Systeme Regeln haben, die Anreize gegen Flucht schaffen (Gelegenheitsangriffe in D&D zum Beispiel), führt das schnell zu einem statischen Abnutzungskampf.
  3. Besser, aber eher präventiv: Konstruiere den Schauplatz so, dass es viele Wege gibt. Jedes Fenster ist ein möglicher Notausgang! Auch Verstecke können hilfreich sein, also keine kahlen, sterilen Gänge im Raumschiff, sondern alles mit Ersatzteilen, Vorratskisten und offenen Wartungsschachten vollpflastern. So kann sich die Gruppe im Notfall den Feinden entziehen und wird nicht so schnell in die Enge getrieben.
  4. Ebenso hilfreich: Nicht jeder Fehltritt löst gleich einen Großalarm aus. Die Forged in the Dark-Spiele benutzen dafür Clocks. Verpatzt man einen Wurf, z.B. um ein Schloss zu knacken, sich ins Sicherheitssystem zu hacken oder eine Wache mit einem geworfenen Stein abzulenken, steigt die Clock um ein bis drei Einheiten. Der Großalarm geht erst los, wenn die Clock voll ist. Das steigert die Spannung ebenfalls.
  5. Auch gut: Die Gegner reagieren ihrer Intelligenz und ihrem Organisationsgrad angemessen, aber nicht allwissend. Selbst trainierte Soldat:innen in einer gut gedrillten Einheit werden zunächst nur ihren Alarmroutinen folgen, solange sie keine Informationen haben, wo sich die Eindringlinge befinden. Und wenn von irgendwo Schüsse und Rufe ertönen, kann man deren Ursprung gar nicht so einfach lokalisieren, selbst wenn man nur wenige Räume entfernt ist. Manche Wachen sind vielleicht desorientiert, z.B. wegen Dunkelheit oder Trunkenheit, andere einfach feige. Hierfür ist ein Adversary Roster hilfreich, auf dem die SL vorab notiert, wo sich welche Wachen befinden, wie sie sich bewegen und wie sie auf Alarme reagieren.
  6. Besonders cool: Wenn es zum Kampf kommt, dann mit Bewegung! Hierfür brauchen die SCs freie Auswege und einen Anreiz, nicht an einem Kampfschauplatz zu verbleiben. (Die Zeitbombe detoniert in zehn Runden! Der Fluchtgleiter draußen ist unter Beschuss!) Das fünfte Element ist für mich ein Paradebeispiel, wie so eine dynamische Kampfsequenz aussehen kann, die alle möglichen Schauplätze auf demselben Schiff einbezieht.
  7. Damit verbunden: Es hilft, wenn nicht alle Wachen gleichzeitig eintreffen (siehe Punkt 2), sondern in einzelnen Wellen. So kann man die erste Gruppe besiegen und dann – unter Hochdruck, denn die nächsten hört man schon! – entscheiden, ob man sich zurückziehen, verstecken oder einen Hinterhalt stellen möchte. Es schafft auch einen zusätzlichen Anreiz, nicht zu lange an einem Ort zu verbleiben (siehe Punkt 6).

Und jetzt Ihr!

Wie geht ihr mit solchen Situationen um? Ist das überhaupt ein Problem in euren Augen? Und wie macht ihr es spannend, wenn die Gruppe mitten im Heist auffliegt?

Veröffentlicht von Rackhir

Autor von Zalú und zu vielen anderen Projekten gleichzeitig.

4 Kommentare zu „Früher oder später ist alles ein Sturmangriff

  1. Ich habe zwei … ein paar Anmerkungen:

    • Als Beispiel zum 4. Punkt, nicht jeder Alarm muss ein Großalarm sein, können sehr gut Feuermelder dienen. Auch diese geben erst einen Warnton von sich und den Menschen eine gewisse Zeitspanne, in der sie die Ursache lokalisieren und den Fehlalarm wieder abstellen können.
    • Zu Punkt 5: Gib den SC Gelegenheit, aktiv für Verwirrung zu sorgen indem sie Ablenkungsmanöver starten, Falschinformationen streuen, sich als Opfer inszenieren und oder den Funk der Wachen abhören. Auf diese Weise können sie mit Geschick und Glück sogar den Alarm zu ihrem Vorteil, als besondere Form der Ablenkung nutzen. Und wenn die Wachen von Innen nach außen stürmen, bleibt vielleicht eine Tür offen, die sie sonst hätten aufbrechen müssen…
    • zu Punkt 7, dem Angriff in Wellen: Ach, waren die Wachen doch nur unser größtes Problem! Aber die sind doch nur die Vorhut unserer Probleme. Denn der Alarm geht weiter, es kommt Hilfe von außen – je nach Gegebenheit kann das eine Miliz sein, Polizei die das Gebäude umstellt, oder gar das Militär. Je tiefer die SC bereits eingedrungen sind, desto weniger Eskalationsstufen müssen sie mitnehmen. Und wenn es sehr früh zu Gewalt kommt, ist es auch gut, sie zu einem Abbruch des Heists zu zwingen, oder in den sicheren Tod zu rennen! (Nein, das ist kein railroading oder scripted loss, sondern eine natürliche Reaktion der Umgebung.) Hier darf die SL gerne auch mal hart (und deutlich) sein, denn das zeigt umso mehr, wie wichtig die nicht gewaltsamen Aktionen zuvor sind. Ach ja, auch Verstärkung von außen erhöht kurzzeitig das Chaos, eine letzte Gelegenheit für die SC, doch noch zu entkommen…
    • Das könnte ein eigener Punkt werden: Ein Verteidigungssystem, gerade gegen gewaltsame Großangriffe, ist typischerweise nach außen hin gerichtet. Oder anders gesagt: Es ist sehr viel einfacher, aus einer Bank auszubrechen als einzubrechen (und dann wieder auszubrechen). Mit jeder Verteidigungslinie, die die SC kampflos infiltrieren, verringert sich ihr Aufwand und Risiko im Falle einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Das kann zb durch einen Wall oder eine Tür gezeigt werden, die sich von innen leicht, von außen nahezu gar nicht öffnen lässt. Oder durch die Sicherheitszentrale, in die die SC von innen leicht(er) kommen. Oder durch Türme und Selbstschussanlagen, die nach außen gerichtet sind und den SC innen wehrlos sind oder gar durch sie benutzt werden können. Die Verteidigungsanlagen gegen die Verteidiger zu richten ist doch ein sehr schöner Trope.

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      • Gerade für Heistszenarien finde ich Erzählrollenspiele sinnvoller als traditionelle Regeln mit einem traditionellen Mindset. Gerade bei kompetenten Charakter:innen sind diese im Spiel einfach immer den Spieler:innen überlegen. Mögliche SL-Fehlreaktionen nicht berücksichtigt.

        Damit meine ich: Selbst wenn eine Session für Planung draufgeht, sind die klassischen Spieler:innen eben keine Infiltrator:innen. Die SC:innen jedoch schon.

        Um das abzubilden, schlage ich für traditionelle Systeme Rückblenden als Ergänzung zu den Optionen im Blogartikel vor.

        Wenn eine kritische Probe fehlschlägt, triggert das eine Rückblende auf eine Szene aus der Vorbereitung. In dieser Rückblende wird dann erklärt, wie ein solcher Rückschlag einberechnet wurde. Das öffnet den Raum für 2–3 Proben, um einen „Sturmangriff“ abzuwenden.

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      • Justin Alexander hat ein schönes Video zu Adversary Rosters gedreht, in dem er zum Ende hin ein paar ähnliche Tipps gibt.

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