Gibt es Elfen auf der Alb?

Swords & Wizardry im Dreißigjährigen Krieg.

Vor zwei Wochen trudelte bei mir ein Paket aus Wien ein: „Der Gazer No. 1“ aus dem Hause Gazer Press hatte mein Interesse geweckt. Erklärtes Ziel des Magazins: „Wir wollen darin das 17. Jahrhundert als Spielwelt populärer machen […].“ Dazu passende Abenteuer vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges hat der Verlag ja schon einige vorzuweisen.

Gar nicht allzu lange vor der Sendung aus Österreich entspann sich auf Discord ein Gespräch darüber, wie man denn die für diese Abenteuer vorgesehenen Regelwerke (beim Erstling „Der Heilige von Bruckstadt“ noch Lamentations of the Flame Princess1, bei den folgenden Werken dann Swords & Wizardry) am besten an das historische Setting anpassen kann – speziell wurde der Umgang mit nicht-menschlichen SC-Völkern diskutiert. Elfen, Zwerge und Halblinge kommen in beiden Regelsystemen vor, glänzten aber im Dreißigjährigen Krieg mit Abwesenheit.

Ein kurzer Einwurf an der Stelle: diese und andere Abweichungen zwischen historischer Abenteuerkulisse und zugrunde gelegten Regelmechaniken (z.B. das Fehlen von Feuerwaffen bei Swords & Wizardry) sind Gazer Press bekannt, der Verlag arbeitet an einem passenden Quellenband für das magisch angehauchte 17. Jahrhundert. Da dieser allerdings noch nicht erschienen ist, muss sich die geneigte Rollenspielgemeinde selber helfen. Genau dazu soll dieser Artikel dienen, zumindest im Hinblick auf die Facette der spielbaren Völker im Dreißigjährigen OSR-Krieg.

Bei der erwähnten Discord-Diskussion wurden verschiedene Standpunkte deutlich, die ich hier ergänzt um eigene Ideen zusammenfassen möchte. Danke daher an alle damaligen Mitdiskutierenden! Unsere Ausgangsfrage: wie passen die regeltechnisch bei Swords & Wizardry vorhandenen „Halbmenschen“ (= Sammelbegriff für menschenähnliche SC-Völker wie Elfen oder Zwerge) in das stark historisch gefärbte Setting der Gazer Press-Abenteuer?

Option 1: Es gibt sie schlichtweg nicht. Die auch von Gazer Press favorisierte Lösung besteht darin, alle SC als Menschen zu erschaffen. Das ist eine klare Regelung, die zum realen 17. Jahrhundert passt und sich rollenspielgeschichtlich nah an den Gygax’schen menschenzentrierten Anfängen von D&D und damit auch am Fundament der OSR-Idee bewegt. Den Nachteil sehe ich hier vor allem auf Seiten der Spielenden: es bricht ein ordentliches Stück Fantasy aus dem Fantasy-Rollenspiel. Wer im Spiel in eine andere als die gewohnte menschliche Haut schlüpfen möchte, kann sich hier eingeschränkt fühlen, oder wird vielleicht gar nicht erst in der Spielwelt spielen wollen.

Option 2: Halbmenschen sind reine Antagonisten. Hier kommt wieder etwas mehr Fantasy in den Mix. Elfen und Zwerge als fremd- bis bösartige Wesen sind in vielen europäischen Mythen verankert, und können so anders als die edlen Tolkien-Elfen gute Gegenspieler in einem übernatürlichen Dreißigjährigen Krieg abgeben. Die Optionen der Spielenden für die SC-Erschaffung sind hier allerdings genauso eingeschränkt wie bei Option 1.

Option 3: Elfen und Zwerge existieren, sind aber sehr selten. Im Verborgenen lebende Wesen, die durch den überall wütenden Krieg aus ihren finsteren Wäldern oder abgelegenen Tälern aufgescheucht wurden und nun in einer Welt, die sie nur aus Gerüchten kennt, ums Überleben kämpfen müssen, halte ich für durchaus stimmungsvoll. Für die Spielenden tut sich jetzt eine Auswahlmöglichkeit bezüglich des SC-Volkes auf. Probleme entstehen in meinen Augen vor allem in der potenziellen Reaktion der (ziemlich rauen) Spielwelt: spielt man die Seltenheit der Völker aus, würden wahrscheinlich die meisten NSC einer Zwergin, von der bis eben unsicher war, ob es sie wirklich gibt und ob an den Schauergeschichten, die man sich so über Zwerge erzählt, etwas dran ist, skeptisch bis misstrauisch gegenüberstehen. Auch offene Ablehnung oder gar Feindseligkeit wären plausibel, und bringen Spielleitung wie Spielende womöglich schnell in die Bredouille.

Option 4: Nichtmenschliche SC sind das Ergebnis von Magie. Grundsätzlich existieren nur Menschen in der Spielwelt, von denen jedoch einige bedauernswerte Individuen durch Hexerei, Flüche, Zaubertränke, das Berühren einer unnatürlichen Pflanze, den Biss einer Höllenspinne, magische Unfälle oder Ähnliches in Elfen, Zwerge oder Halblinge verwandelt/transformiert/mutiert wurden und so seltsame Fähigkeiten und ein merkwürdiges Äußeres erworben haben (vgl. die „Goblinisierung“ in der Shadowrun-Welt und die klassische Superhelden-Origin-Story). Die Reaktion der Spielwelt könnte hier etwas gemäßigter ausfallen, da die anderen „Völker“ eigentlich ja doch Menschen sind, und viele NSC mit der Existenz solcher „Umgewandelten“ vertraut sein dürften. Die Spielenden hätten hier die Freiheit, auch Nichtmenschen als SC zu wählen, müssten sich aber wohl überlegen, wie genau ihr SC „entstanden“ ist.

Option 5: Halbmenschen sind ein üblicher Teil der Spielwelt und haben schon immer existiert. Sie könnten so sowohl als SC dienen wie auch als NSC regelmäßig angetroffen werden. Diese Option möchte ich gern etwas differenzieren, allen Varianten ist jedoch gemein, dass sie sich von der Ausgangsidee „OSR im (realen) 17. Jahrhundert (mit etwas Magie)“ natürlich am weitesten entfernen.

Option 5.1: Elfen und Zwerge ersetzen reale Staaten/Regionen/Völker/Kulturen. So könnte z.B. das Königreich Schweden in der Spielwelt eine zwergische Nation sein, Gustaf II. Adolf entsprechend einen deutlich längeren Bart haben als sein historisches Vorbild und sein Schlachtross Streiff dann ein Pony sein. Dieses Vorgehen ist relativ geradlinig und macht wenig Arbeit, es erleichtert der Spielrunde das „Begreifen“ der Spielwelt. Problematisch aus meiner Sicht: die Vermischung oder Gleichsetzung von Fantasy-Völkern mit Kulturen oder Nationen aus unserer echten Welt ist zwar eine weitverbreitete Methode, bringt aber auch unerwünschte Wirkungen mit sich2.

Option 5.2: Nichtmenschen leben parallel zur Menschheit und (auch bzw. teilweise) in ihrer Mitte. Hierbei würden historische Vorbilder belassen, und die Halbmenschen in den Kontext bestehender Verhältnisse „eingebettet“. Pate steht hier die „Lex Zwergia“ aus der Spielwelt des Schwarzen Auges, Aventurien: es existieren Gesetze und Übereinkünfte, die regeln, wie Zwerge in einem hauptsächlich menschlichen Kaiserreich leben. In dieser Variante könnte sich die Spielleitung austoben und in Einzelheiten festlegen, welchen Status Zwerge in Württemberg, Nichtmenschen allgemein in Böhmen oder grundbesitzende Elfen in der Reichsstadt Lübeck haben. Mit entsprechendem Arbeitsaufwand könnte hier eine stimmige „alternative Geschichte“ entstehen, die ein realweltliches 17. Jahrhundert mit einem Was-wäre-wenn-Szenario der Existenz anderer kulturschaffender Wesen auf der Erde kreuzt. Nachteil: eben der genannte Arbeitsaufwand.

Option 5.3: das (regeltechnische) Volk spielt in der Spielwelt keine Rolle. Getreu dem Motto „Zwerge sind doch auch nur Menschen“ könnte festgelegt werden, dass Nichtmenschen einfach existieren und dies weder Fragen noch Probleme aufwirft. Ob ein SC, eine Schankwirtin oder ein Räuberhauptmann dann ein Mensch ist oder ein:e Elf:in, wäre in diesem Szenario einfach nur Kosmetik –  aus meiner Sicht die Option, die im modernen Dungeons & Dragons weit verbreitet ist.

Bei allen Varianten der Option 5 wären für die Gazer Press-Abenteuer am Spieltisch Anpassungen nötig, da neben einigen monströsen Kreaturen hauptsächlich Menschen als NSC und Gegner vorgegeben sind. Elfen, Zwerge und Halblinge müssten also „eingestreut“ werden. Im kleineren Maßstab gilt dies auch für Option 3 und 4, bei denen die Abenteurergruppe vielleicht auch vereinzelt andere Halbmenschen begegnen könnte.

Ich denke, dass auf dem dargestellten Kontinuum von Optionen eine Lösung für alle Neugierigen dabei sein dürfte, die bisher von einem Swords & Wizardry-basierten Ausflug ins 17. Jahrhundert zurückgeschreckt sind. Das Setting halte ich für eine schöne Ergänzung zu den üblichen Fantasy-Welten der OSR, und möchte dementsprechend natürlich Gazers „Popularisierungsmission“ unterstützen. Weitere Ideen sind natürlich in den Kommentaren gern gesehen!

Selbstverständlich gilt, dass jede Spielleitung bzw. Spielrunde für sich entscheiden darf, und es kein richtig oder falsch gibt. Was am Spieltisch für alle passt, kann vereinbart werden. Die Frage danach, welche SC-Völker bei „OSR meets Frühe Neuzeit“ angemessen sind steht letztlich auch nicht alleine, sie ist in meinen Augen mit der Frage nach dem Spagat verknüpft, den das Vorhandensein von Magie und Ungeheuern in einem historisch verankerten Setting darstellt. Das ist aber noch einmal ein ganzes Thema für sich, hier bin ich wirklich neugierig auf den Quellenband von Gazer Press.

Und jetzt: auf ins nächste Spiel! Das Abenteuer wartet!

  1. In meinem Artikel beziehe ich mich in erster Linie auf Swords & Wizardry, da dieses auf Deutsch vorliegt und auch Gazer Press für das vorgestellte Setting darauf „umgestiegen“ ist. ↩︎
  2. Siehe hierzu z.B. „Nicht-Menschen im Rollenspiel: ein altes Problem und eine neue Lösung“ oder den englischsprachigen Artikel „When worlds collaborate“, die sich u.a. mit der Problematik der realweltlichen Bezüge beschäftigen. ↩︎

9 Kommentare zu „Gibt es Elfen auf der Alb?

  1. @kritischerfehlschlag.de
    Ich denke, dass ich Deine Anmerkungen verstehe. Frage mich allerdings, ob mensch ein Setting nicht einfach so wie es ist stehen lassen sollte. Die Gefahr ist doch, dass mirnichtsdirnichts wieder so ein Einheitsbrei-Ding entsteht, von denen es bereits so viele gibt. Da werden ja entsprechende Bedürfnisse abgedeckt.
    Sitze aktuell an einer Kampagne, in der voraussichtlich ausschließlich Humanoide Charaktere erlaubt sind. Jemand kann sehr klein sein oder sehr groß…

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  2. @kritischerfehlschlag.de
    5.1.1
    Elfen und Zwerge sind nicht an Staaten/Nationen/etc. gebunden, kommen aber aus eher weniger Tangierten Gegenden (unter Bergen, in Lappland, in Sümpfen, etc.) sozusagen als Parallelgesellschaften, die aber als Söldner/aus persönlichem Antrieb sich anderen anschließen.
    So hätte Schweden keinen zwergischen König aber Massen an Zwergensöldnern.
    Beide wären dann in den umkämpften Gegenden etwas besonderes, aber nicht unbekannt.

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  3. @kritischerfehlschlag.de OK, I actually had browser translate your post into English since the moment I saw you mention OSR fantasy games and Thirty Years War, I had to find out what were you writing about.

    The problem of integrating fantasy races into real-world historical setting is a hard thing to untangle. I liked some of ideas you suggested in your post but, frankly, I'd probably go with simply not using any fantasy races in a quasi-historical setting.

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  4. @kritischerfehlschlag.de This might not be fun for players, but I believe this comes down to their expecations: do they want to play D&D fantasy game cloaked in history or something more down to earth, like says, historical fantasy novels by Tim Powers?

    It also matters how much choice does the game give the players. If their only choices are dwarf, elf, hafling, magic user, fighter, cleric and thief, they'll feel the fact they can't play half of those options a lot more.

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  5. @Just_me @kritischerfehlschlag.de This is a solid comment.

    If fantasy races are such a everyday part of the setting that people treat them completely the same as if they were human, then what's the point of playing a fantasy race? Sure, you get your mechnaical bonuses, but otherwise your dwarf is just a smaller, hairier human. Which is disappointing. If there is a fantasy race in a RPG world, it should have its specific flavor and culture.

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  6. Natürlich darf das Setting auch einfach so bleiben, wie es ist! Das wäre hier Option 1, und ergibt in diesem Fall ja auch einen gewissen Alleinstellungswert. Da Setting und Regelwerk allerdings nicht ganz nahtlos zusammenpassen, finde ich die Frage, welches von beidem man wie anpasst schon spannend. Es hängt wahrscheinlich auch stark von der Spielrunde ab, wenn alle mit „nur Menschen“ einverstanden sind, ist es ja direkt erledigt.

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  7. First of all, thanks for your comments. I’m quite honored you went to the pains of translating the article! I agree with much of what you wrote, especially giving (other/new) options to the players if you take some away. I do think, however, that from a player perspective, the mechanical bonuses can sometimes be all that player wants, even though incorporating non-human flavour/culture might be more fun.

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