A-Piece-of-History-every-day 2025 – Teil 27 (Shanghai International Settlement)

In Shanghai gab es für gut ein Jahrhundert (Mitte des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts) mehrere Stadtteile unter der Kontrolle fremder Mächte. Menschen aller möglichen Nationalitäten lebten dort und machten das International Settlement – und die benachbarte Concession française – zu einem Mikrokosmos der Welt voller überlappender und widersprüchlicher Regeln.

Beide Stadtviertel waren Produkte des Kolonialismus, geschaffen durch die „ungleichen Verträge“ zwischen westlichen Mächten und dem chinesischen Kaiserreich. Die Viertel etablierten Privilegien für die westlichen Mächte und schufen eine separate Governance-Struktur für die Stadtviertel des Settlements. Um mit dem Auto durch ganz Shanghai zu fahren, brauchte man zum Beispiel drei Führerscheine. Jede:r Bewohner:in des International Settlement unterlag der Jurisdiktion seines bzw. ihres Heimatlandes. Italien finanzierte eine Oper dort!

Shanghai tram, John Rossman collection, Public domain

Das International Settlement, und Shanghai in der Zwischenkriegszeit generell, ist ein hervorragendes Setting an sich – schaut euch nur mal den Anfang von „Indiana Jones-Films und der Tempel des Todes“ an. Heute möchte ich euch aber dazu einladen, über die Rolle von Fremdenvierteln in den Städten eurer Kampagnenwelt nachzudenken.

Fremdenviertel hat es in vielen Kulturen und Epochen gegeben, z.B. Pera in Konstantinopel. Nur selten hatten die Bewohner dort besondere Privilegien, wie im Shanghai International Settlement. Der Normalfall war eher, dass sich dort „Fremde“ (was immer das in diesem Kontext bedeutete) versammelten, die sich in anderen Stadtvierteln nicht ansiedeln, ihre Religion nicht praktizieren oder ihren Beruf nicht ausüben durften. In „ihrem“ Viertel wurde dies eher toleriert, ob offiziell oder inoffiziell. Dennoch waren Fremdenviertel oft eher Mittel der Ausgrenzung als der Inklusion. It was complicated.

Dies ist aber eine spannende Inspiration, um die Städte eurer Kampagnenwelt interessanter und vielfältiger zu machen, außerdem eine Quelle für alle möglichen Abenteuer. Ein Dieb versteckt sich im Fremdenviertel vor der Polizei, was nun? Die Fremden kennen ein wichtiges Geheimnis, das für die ganze Stadt von großer Bedeutung ist, werden sie es nach jahrhundertelanger Diskriminierung aufdecken? Es geschehen Gewaltverbrechen im Fremdenviertel und die Spur führt in den Rest der Stadt, wer kann helfen?

Gebt den großen Städten eurer Kampagnenwelt ein Fremdenviertel – entweder für eine bestimmte Ethnie oder Nationalität, oder pauschal für alle Fremden, die nicht zur einheimischen Mehrheitskultur gehören. Dazu könnt ihr euch die folgenden Fragen stellen, um die Berührungspunkte und Konflikte herauszuarbeiten, die dadurch in der Stadt entstehen:

  • Wer lebt im Fremdenviertel? Wie lange existiert es schon?
  • Wodurch ist das Fremdenviertel entstanden? Gab es einen offiziellen Erlass und wenn ja, was regelt dieser?
  • Was dürfen die Bewohner:innen des Fremdenviertels in ihrem Viertel machen, was ihnen anderswo verboten oder unmöglich ist?
  • Welchen Nutzen zieht die Stadt (oder genauer: ihre Eliten, ihre Regierung) aus der Existenz des Fremdenviertels? Warum wurde es nicht schon längst abgeschafft?
  • Wenn Bewohner:innen aus dem Rest der Stadt ins Fremdenviertel kommen, wie begegnet man sich? Wofür kommen sie hierher?
  • In welcher Weise ist die Architektur des Fremdenviertels durch die einheimische Kultur und durch fremde Kulturen beeinflusst?
  • Welche kulturellen Praktiken haben Einheimische von den Fremden übernommen?
  • Welche kulturellen Praktiken haben die ansässigen Fremden von den Einheimischen übernommen, wodurch sie sich nun von ihrer Heimatkultur unterscheiden?
  • Wer ist für die Verfolgung von Verbrechen zuständig, die im Fremdenviertel bzw. im Rest der Stadt von Fremden oder an Fremden begangen werden?

Veröffentlicht von Rackhir

Autor von Zalú und zu vielen anderen Projekten gleichzeitig.

Ein Kommentar zu “A-Piece-of-History-every-day 2025 – Teil 27 (Shanghai International Settlement)

  1. Sehr schöne Gedanken. Ich leite die Masken des Nyarlathotep und bin da auch gerade in Shanghai. Die verschiedenen Gesetze bereichern das Spiel, da die Charaktere immer mal wieder mit Problemen konfrontiert werden können.

    Shanghai finde ich an sich ein sehr schönes Beispiel, wie eine Stadt mit verschiedenen Vierteln aber auch diversen Nationalitäten ausgestaltet werden kann. Diese Meinung mag vielleicht auch am aktuellen Bezug bei mir liegen 🙂

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