„Alle Völker dieser Welt liegen zu unseren Füßen“ – die mythische Unterwelt des 30-jährigen Krieges

Die mythische Unterwelt, der (Mega-)Dungeon dürfte in den meisten OSR-Kampagnen einen zentralen Platz innehalten. Für diesen Artikel verwende ich den Begriff „Dungeon“ synonym für die besagte mythische Unterwelt. Eine genauere Erklärung folgt weiter unten im Text.

Damit möchte ich den Dungeon klar abgrenzen von mundanen Bauten wie Kerker, Burgen, oder Höhlen nah an der Oberfläche etc. Diese Orte gehören nicht zur mythischen Unterwelt, können aber gerne einzelne Elemente dieser in sich aufnehmen.

An dieser Stelle möchte ich Alex Schroeder zu Wort kommen lassen, der den (Mega-)Dungeon folgendermaßen beschreibt:

„Ein Megadungeon ist eine unlogische Umgebung. Wie wird gelüftet? Wie wird das hereinsickernde Grundwasser abgepumpt? Wo geht man aufs Klo? Wo gibt es Frischwasser? Wie ernährt man sich hier unten? Wenn der Megadungeon eine alptraumhafte Unterwelt ist, wenn klar ist, dass man in der Tiefe bis ins Reich der Toten oder in die Hölle steigen kann, dann gilt hier nicht mehr der gesunde Menschenverstand, sondern eine eigene Traumlogik.“

„Diese kann man erlernen und ausnützen, aber man kann sie nicht erklären.“

„Der Megadungeon ist eine zweckfreie Umgebung. Niemand baut einen Megadungeon „für“ etwas. Es ist besser, wenn es keine Erklärung gibt, genau so wie es keine Erklärung für unsere Alpträume gibt, ausser den Ängsten, die schon in uns drinnen sind. Wir bringen unsere eigenen Ängste mit. Wir haben Angst im Dunkeln, also ist es dunkel. Wir haben Angst vor dem Tod, also wollen uns die Monster töten. Wir schämen uns für unsere Gier, also ist das Gold unsere Belohnung.“

(hier der Link zum Blog von Alex und dem vollständigen Artikel: https://alexschroeder.ch/view/2022-12-23_Megadungeon)

An dieser Stelle vielen Dank an Alex – besser als er könnte ich es niemals ausdrücken wofür ein Dungeon im Spiel stehen sollte.

Basierend auf Alexs Artikel und meiner Affinität für die cthulhoiden Traumlande und KULTs METROPOLIS habe ich mir Gedanken gemacht, wie diese mythische Unterwelt für das Setting des 30-jährigen Krieges aussehen kann. Denn bisher gibt es weder von seitens Lamentations of the Flame Princess noch bei Gazerpress (wir wissen, da wird was kommen) Erklärungen dafür, wie ein historisches Setting mit der Magie und den Dungeons von D&D reagiert. Soweit ist das erstmal nicht schlimm, jedoch können und werden sich im Laufe einer Kampagne Fragen auftun, die es zu beantworten gilt.

Also, ran ans Eingemachte!

Zaubersprüche und Magische Gegenstände

Einige Kernfragen in einem historischen Setting könnten lauten:
Warum wird die Welt nicht von Magie überflutet?“ oder „Warum kämpfen die Armeen nicht mit Feuerbällen und Blitzen?“

Eine Erklärung abseits des Dungeons könnte natürlich die Angst und Abscheu vor Magie sein. Auch ein mächtiger Herrscher und Anführer darf nicht zwanglos offen Magie praktizieren bzw. ihren Gebrauch gutheißen. Zu groß ist der Aberglaube in der Neuzeit und zu schnell könnten Anhänger eine Allianz mit dem Teufel oder Häretikern vermuten.

In solch einem Fall würden wir wohl eher den Gebrauch subtiler Magie im Geheimen vermuten. Weniger Feuerbälle und Magische Geschosse als eher Gedankenkontrolle, Segnungen oder Illusionen. Und dies wiederum im stillen Kämmerlein und nicht vor aller Augen. Ein magischer Assassine sozusagen, der die Zaubersprüche über den schlafenden Grafen spricht, nachdem er sich in dessen Burg oder Heerlager geschlichen hat.

Eine andere Erklärung könnte sein, dass höhere Magie außerhalb des Dungeons nicht  zugänglich ist, zu sehr folgt sie einer Traumlogik, weniger einer hermetischen Formel. In diesem Beispiel würden wir einfach annehmen, dass alle Zaubersprüche ab Grad 3 nur innerhalb des Dungeons gewirkt werden können. Damit wäre auch geklärt, welche Magie man in Städten und Tempeln bekommen kann.

Hier würde sich gleich die nächste Frage anbieten: sind hiervon nur arkane Sprüche betroffen oder auch klerikale? Das Fass um Religion und Magie kann eine Büchse der Pandora sein. Ich persönlich würde da keine Unterscheidung machen, wie seht ihr das?

Und wie sieht es mit magischen Gegenständen und Artefakten aus?  Ich sage: kein Magic-Mart – wer magische Gegenstände will, muss sie sich im Dungeon besorgen (lassen). Der Kauf und Verkauf von solchen Gegenständen Vergleiche ich an dieser Stelle eher mit okkulten Werken wie im Film „Die neun Pforten„. Ebenso unterscheide ich nicht in normale magische Gegenstände und Artefakte, für mich alles ein und dasselbe. Da handhaben ich es wie Dungeon Crawl Classics und möchte zurück zum Sense of Wunder der frühen Tage.

Phantastik vs. Historizität

Meine Maxime lautet an dieser Stelle: über dem Dungeon tobt und brennt der Krieg in all seinen Facetten und bietet damit eine wahnsinnig grosse Leinwand für allerlei Geschichten. Ich unterscheide diese zwei Arten des Spiels – also den Gang in den Dungeon und die Episoden an der Oberfläche. Hierzu folgende Worte von  Alex Schroeder:

„Ein Megadungeon ist eine einfach strukturierte Umgebung, wo die Bewegungsmöglichkeiten der Spielerinnen und Spieler eingeschränkt sind, so dass die Spielleitung nicht viel vorbereiten muss.
Die Spielerinnen und Spieler sehen auf der Karte, welche Gänge ins Unbekannte führen, welche Türen noch nie geöffnet wurden. Es gibt gar nicht so viele Orte, an denen ein Spielabend beginnen kann.“

Und genau dazu bietet die Oberfläche und das Setting einen mächtigen Kontrast! Innerhalb des 30-jährigen Krieges war so vieles eben nicht so einfach strukturiert und möglich. Man konnte sich noch nicht einmal sicher sein, auf wessen Seite die eigene politische Führung am nächsten Tag stehen würde. So viele Menschen, Interessen, Soldaten, Söldner, Konflikte und Gelder flossen in diesen Krieg. Dieses Gefüge war komplex, gefährlich und folgte für den Abenteurer niemals einem Alltag.

Deswegen benötigt das Spiel an der Oberfläche meiner Meinung nach keine bis sehr wenige phantastische Elemente. Wenn sie ins Spiel kommen, dann sollten sie besonderes Gewicht bekommen, denn sie sind alles andere als alltäglich. Auch umgekehrt: stoßen die Spielfiguren innerhalb des Dungeons auf etwas normales, alltägliches, fast schon profanes, dann sollte dies ebenso einen starken Kontrast bilden.

(Alp-) Traumwelten und Glaube

Wie oben bereits erwähnt, bin ich grosser Fan der Traumlande und KULT. Beide (Sub-) Settings haben unter anderem gemeinsam, dass sie die Spielwelt um ein neues Element bereichern, das es zu erkunden gilt. Hierbei wird auf Traumlogik zurückgegriffen und eine „alles ist hier möglich“ – Mentalität. Die mythische Unterwelt kann ein Tor zu anderen Ebenen  des Universums /Multiversums sein. Natürlich bietet es sich bei dieser Projektionsfläche an, auf die Glaubensvorstellungen, Ängsten, Sagen und Legenden der Spielfiguren und deren Religion und Kultur einzugehen.

Warum nicht? Etwas Fanservice an die Spielfiguren darf sein. Wenn ich zB. eine gigantische…. – nennen wir es mal Struktur – im Dungeon erkunden lassen will, dann kann diese Struktur ein variables Aussehen haben, jenachdem welche Hintergrund die Spielfigur/en in den Dungeon bringen.

Fantasy-Tropen

Die phantastischen Element des Spiels gehören also in den Dungeon. Und damit kann ich – unter Einhaltung der Genre-Konventionen – auch alle anderen Tropen der Fantasy einbauen. Für meinen Geschmack würde ich nun keine Elfen oder Orks ins Spiel einbauen – aber passend zum Spiel würde ich sie umbauen und den Spielern präsentieren. Schwarzalbe, Feen, Zwerge, Trolle usw haben in deutschen Legenden ihren Platz, aber auch Gestalten aus Alpträumen. Reskinnen und einsetzen. Ein Goblin muss kein Wesen mit einem einzigen TW sein, er kann ebenso mächtig in der mythischen Unterwelt sein wie ein König. Also auch auf Regelbasis kann man hier variieren und die Spieler und deren Figuren überraschen.

Das waren erstmal all meine Gedanken zu diesem Thema. Andere blubbern noch unter der Oberfläche, andere wollen intensiver in der Praxis getestet werden. Was sind eure Meinungen und Erfahrungen in einem historischen Setting?

-grannus-

2 Kommentare zu „„Alle Völker dieser Welt liegen zu unseren Füßen“ – die mythische Unterwelt des 30-jährigen Krieges

  1. Die Frage nach der Existenz göttlicher Magie im (fast) realweltlichen Setting finde ich tatsächlich auch sehr spannend. In der „klassischen“ Fantasy gibt es meist mehrere Gottheiten, die ihren Gefolgsleuten Kraft gewähren und sich häufig auch ziemlich direkt in die Welt einmischen. Wie aber kann man die Existenz klerikaler Zauber erklären, wenn man es mit Monotheismus zu tun hat und die drei großen damaligen europäischen Religionen Christentum, Judentum und Islam auch nicht mal so sicher sind, ob sie nicht am Ende denselben Gott verehren? (Und was genau ist dann arkane Magie?)

    Die Existenz verschiedener dunkler Kulte legt aus meiner Sicht nahe, dass es mehr als einen Gott geben müsste, aber vielleicht sind da auch nur „arkane“ Mächte am Werk. Dann ist natürlich die Frage: was genau steckt da dahinter? Das „Chaos“ à la Warhammer? Die Großen Alten oder andere interstellare Wesenheiten? Gibt es den Teufel und Dämonen als göttliche Gegenspieler? Sind Heilige tatsächliche Entitäten mit realem „Zugriff“ auf die Welt? Gibt es überhaupt so etwas wie einen monotheistischen Gott, oder ist das eine Illusion und die Zauberkraft eines z.B. katholischen Klerikers kommt in Wahrheit aus anderer Quelle?

    Was ich auf jeden Fall sehr mag ist, dass die Spielrunde erstmal massiv im Ungewissen gelassen wird, was eigentlich gespielt wird. Das öffnet unendlich viele Türen, die man in einer „klassischen“ Fantasyspielwelt mit klar festgelegten Göttern, Portfolios und Magie-Erklärung à la dem Gewebe der Vergessenen Reiche nicht hat.

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